Capital: Verwaltet und verloren

Text von Jens Brambusch, Capital Magazin:


Der Kaffee mit Milchschaum wird in schicken Gläsern serviert. Auf dem Holztisch wartet eine Karaffe mit stillem Wasser. Wohlfühlatmosphäre in einem Berliner Backsteinloft. Hohe Decken, Betonboden. „Bei Fragen einfach rufen“, sagt die gut gelaunte Frau von der Immobiliengesellschaft, die sich als Ansprechpartnerin der Hausverwaltung vorstellt. Dann geht sie. Die beiden Beiräte der neuen Wohnungseigentümergemeinschaft, kurz WEG, bleiben in dem Raum mit den Glaswänden zurück. Vor ihnen ein Leitz-Ordner mit abgehefteten Belegen und zwei Papierstapel mit Zahlenkolonnen, überschrieben mit „Kontoabrechnung. Haus: 334 WEG“.

Für die beiden ist der Einsatz eine Premiere. Erst seit Kurzem sind sie Wohnungsbesitzer. Gekauft haben sie ihr Domizil von einer Immobiliengesellschaft, die ein Mietshaus mit 25 Einheiten nach und nach vermarktet. Die Hausverwaltung, eine Tochterfirma der Immobiliengesellschaft, ist seit Jahren für das Objekt zuständig.

Erschreckend blauäugig

Bei der ersten Versammlung der neuen Eigentümer haben sie sich breitschlagen lassen, den ungeliebten Job zu übernehmen. Die Hausverwaltung beruhigte: „Sie müssen nur einmal im Jahr die Abrechnungen prüfen. Ein, zwei Stunden, das ist alles.“

Jetzt sitzen sie da, nippen am Kaffee und blättern orientierungslos durch die Bögen. Die Finger wandern über Zahlenreihen, bleiben an unbekannten Begriffen hängen, wandern weiter. „Hast du eine Ahnung, worauf du achten musst?“ Achselzucken. „Ich auch nicht.“

Gabriele Heinrich, Vorsitzende beim Verbraucherschutzverein Wohnen im Eigentum e. V., kennt diese ­Situation gut: Beiräte, die mit der Kontoprüfung hoffnungslos überfordert sind und daran scheitern, Unstimmigkeiten oder sogar grobe Abrechnungsfehler zu erkennen. „In jedem Unternehmen gibt es einen Controller oder einen Wirtschaftsprüfer“, sagt Heinrich. „Jede Bilanz, jede Rechnung wird gegengecheckt.“ Bei der Verwaltung von Eigentumswohnungen hingegen seien die Deutschen erschreckend blauäugig. „Was die Hausverwaltung präsentiert, wird oft unwidersprochen hingenommen.“

Von Schlamperei bis Betrug

Beträchtliche Summen stehen auf dem Spiel. Die Instandhaltungsrücklagen einer WEG sind meist ­fünf-, wenn nicht sechsstellig. Bei neun Millionen Eigentumswohnungen in privater Hand dürften die verwalteten Rücklagen in Deutschland an ­einen dreistelligen Milliardenbetrag heranreichen.

Es geht um Aufträge in Höhe von mehreren Tausend Euro. Um Dienstleistungen, deren Ausführung kaum einer kontrolliert. Und um die Instandhaltung und Pflege einer Immobilie, die nicht selten einige Millionen wert ist und oft die Altersvorsorge ihrer Eigentümer bildet.

Rund 10 000 Firmen kümmern sich bundesweit um die Verwaltung. Deren Qualifikation lässt sich schwer einschätzen: Der Beruf des Hausverwalters ist nicht geschützt. Wer es drauf anlegt, kann die Unerfahrenheit seiner Kunden ausnutzen – von Schlamperei über Mauschelei bis hin zum Betrug.

Dutzende Fälle, in denen Dienstleister die Grenzen des Gesetzes überschritten haben, sind aktenkundig. Ein besonders schwerer Fall ereignete sich kürzlich im Raum Köln. Eine Verwaltung mit 80 WEGs und knapp 3 000 Wohnungen soll laut Anklage 3 bis 4 Mio. Euro veruntreut haben. Die Wohnungseigentümer fürchten nun um ihre Rücklagen. Der Betrug fiel lange Zeit nicht auf, weil der Verwalter die Gelder zwischen den Konten hin und her buchte. Ein genaues Hinsehen hätte den Schaden schon viel früher ­begrenzen können.

Job mit Haftungsrisiko

Für die von der Eigentümergemeinschaft gewählten Beiräte kann eine betrügerische Verwaltung ernsthafte Folgen haben. Sie haften für das, was sie abzeichnen. Im Mai endete vor dem Amtsgericht Düsseldorf ein Verfahren gegen eine Beirätin wegen Beihilfe zur Untreue. Der Verwalter hatte 130 000 Euro von den Eigentümerkonten im Casino verzockt. Der Beirätin war vorgeworfen worden, die Warnzeichen nicht erkannt oder zu spät weitergegeben zu haben.

Zwar wurde sie von den strafrechtlichen Vorwürfen freigesprochen. Trotzdem könnten die Miteigentümer in einem Zivilprozess Schadenersatz fordern. „Das droht Verwaltungsbeiräten immer dann, wenn sie schuldhaft – also vorsätzlich, grob fahrlässig oder auch nur leicht fahrlässig – Fehler begehen“, sagt Heinrich. Ihr Verband hat eine Broschüre herausgegeben, in der die Tücken der Beiratsarbeit aufgeführt sind. „Hilfe, wir sind Verwaltungsbeirat“ heißt das 128 Seiten starke Druckwerk.

Viele Verwalter leisteten gute Arbeit, sagt Heinrich. Die Erfahrung zeige jedoch, dass Abrechnungen oft fehlerhaft sind. „In vielen WEGs hat sich über Jahre hinweg niemand gekümmert“, sagt Heinrich. Man habe die Verwalter einfach machen lassen. Und das räche sich.

Oft wird einfach geschludert. Säumige Beträge werden nicht eingetrieben, Vertragsleistungen nicht überprüft, Vergleichsangebote nicht eingeholt, Versicherungen nicht bemüht. Es zahlt ja am Ende jemand: die Eigentümergemeinschaft.

Genaues Hinschauen lohnt

Manche Verwalter haben ein Netz aus Firmen aufgebaut, die sich Aufträge untereinander zuschustern: Hausmeisterservice, Handwerker, Reinigung. Oft sind die Leistungen überteuert. Hier ein paar Euro, dort ein paar Hundert. Meist sind die Beträge so gering, dass der Schmu nicht sofort auffällt. Die Menge macht’s, denn nicht selten betreuen Hausverwaltungen Dutzende, wenn nicht mehr Objekte. „Wenn bei Aufträgen nicht immer mehrere Angebote eingeholt werden, ist das ein Alarmzeichen“, warnt Heinrich.

Bei der Überprüfung der Jahresrechnung stolpern die beiden frisch ernannten Beiräte in ihrem Glaskasten denn auch über solch eine vermeintliche Nickligkeit. Ausgerechnet einer der kleinsten Beträge veranlasst sie dazu, noch einmal genauer hinzuschauen: 24,90 Euro. Skonto, das der Schneeräumdienst nicht anerkannte, weil die Rechnung zu spät bezahlt worden war. Die Verwaltung nahm das Malheur nicht auf die eigene Kappe, der Betrag wurde vom Gemeinschaftskonto beglichen.

Leistungen weichen stark ab

Warum eigentlich? Schließlich lässt sich die Verwaltung ihre Dienste mit mehr als 8 000 Euro im Jahr honorieren. Die Beiräte schauen sich an. „Ist das eigentlich viel? Was darf eine Hausverwaltung im Jahr eigentlich kosten?“ Wieder Achselzucken.

„Für die Honorare der Verwaltungen gibt es lediglich Richtwerte“, sagt Expertin Heinrich. Und die weichen je nach Region und Größe des Objektes voneinander ab. Die Spanne für eine Wohneinheit reicht von 17 bis 25 Euro pro Monat.

Heinrich warnt allerdings davor, nur auf die Kosten zu schauen, denn die Leistungen der Verwaltungen unterschieden sich deutlich voneinander. Ein vermeintlich günstiger Anbieter könne unterm Strich deutlich teurer sein, weil etwa Objekt­begehungen, Ausschreibungen oder Korrespondenzen extra berechnet würden. Heinrich empfiehlt bei der Suche nach einer neuen Verwaltung, die Leistungskataloge genau zu vergleichen.

Aufträge an sich selbst

Als der Kaffee längst ausgetrunken ist, ähnelt die Jahresabrechnung, die vor den Beiräten liegt, einem Schmierzettel. Zahlen sind markiert, Beträge eingekreist, etliche Fragezeichen gesetzt. Und überall stehen am Rand Notizen.

Fragen wirft vor allem das Zusammenwirken der Beteiligten auf: Die Immobiliengesellschaft, die die Wohnungen nach und nach verkauft, ist Teil der WEG, solange nicht alle Einheiten veräußert sind. Zugleich betätigt sie sich auch als Hausverwalter und hat einen Hausmeisterservice beauftragt, der ebenfalls zu der Immobilienfirma gehört. Und für einige Arbeiten erteilt der sich selbst die Aufträge.

Die neuen Eigentümer haben das als gegeben hingenommen. Bei der ersten Versammlung fragte niemand nach Verträgen oder Konditionen. Das Hausgeld wurde einfach akzeptiert. „Wenn Verträge innerhalb einer Unternehmensgruppe geschlossen werden, sollte das stutzig machen“, sagt Heinrich.

Skepsis ist geweckt

Die Beirats-Novizen konfrontieren die nette Verwalterin mit ihren Fundstellen. Und jetzt ist sie es, die mit den Achseln zuckt. „Da muss ich den Buchhalter fragen“, sagt sie zu der Skonto-Frage. Und der gibt den Beiräten recht. Das Geld muss an die WEG zurückgezahlt werden. Die Skepsis ist geweckt. Und es bleibt nicht bei Kleckerbeträgen.

Einige Schäden im Wert von rund 1 000 Euro, die der Versicherung hätten gemeldet werden müssen, wurden gleich von dem WEG-Konto bezahlt. Wohl ein Versehen. Ein anderer Schaden, der sich in einer Mietwohnung der Immobilienfirma ereignete, wurde dafür an die Assekuranz weitergereicht, obwohl es sich um keinen Versicherungsfall handelte. Folglich zahlte die Gesellschaft auch nicht. Und wieder wurde am Ende das Konto der WEG belastet.

Die Beiräte wollen noch mehr wissen: „Wieso zahlen wir jeden Monat Pauschalen für ‚Hauswartsservice‘ und ‚Hausservice‘? Was macht der eigentlich?“ Immerhin schlagen die Dienste mit 4 000 Euro im Jahr zu Buche. Zu zahlen an die Tochterfirma der Verwaltung. „Na ja, der Hausmeister schaut ein- bis dreimal die Woche nach dem Rechten“, sagt die Mitarbeiterin.

Nicht nachvollziehbare Kosten

Die Beiräte stutzen. Wochenlang sind Lampen defekt. Wie passt das zusammen? Die Verwalterin verweist auf den Vertrag, in dem die Leistungen definiert seien. Erst auf Bitten der Beiräte wird er vorgelegt. Und neue Fragen tauchen auf.

Der Katalog beinhaltet kleine Reparaturen, etwa an Lampen und Schaltern. In der Abrechnung tauchen aber Posten mit dem ­Betreff „Leuchtmittel/Lichtschalter“, „Treppenlicht“, „Befestigung Lampe“ oder „Austausch Leuchtmittel“ auf. Immer extra berechnet. Mal für 8,90 Euro, mal für 74,38 Euro. Ausführender: der Hausservice, der sich selbst die Aufträge erteilt hat.

Die Beiräte stellen Abrechnungen über 2 000  Euro infrage. Hinzu kommen die Kosten für den Hausmeisterservice, der 4 000 Euro im Jahr verschlingt – ohne erkenn­bare Gegenleistung. Und dann sind da noch die Rechnungen, die nicht an die Versicherung weitergegeben wurden. Eine Menge Geld. Vor allem wenn man bedenkt, dass sich Einnahmen der WEG auf gerade einmal 50 000 Euro belaufen. Und ein Großteil davon für laufende Kosten wie Wasser, Abwasser und Müll verwendet wird.

Wer seine Rechte nicht wahrnimmt, zahlt drauf

Erst langsam, sagt Heinrich, verstünden viele Eigentümer, dass es sinnvoll sei, der Hausverwaltung auf die Finger zu schauen. Doch immer noch seien die WEGs oft Gemeinschaften, in denen man sich nicht kennt, in denen es kaum Austausch gibt und in denen Beiräte agieren, die ihre Sache widerwillig oder ohne große Rückendeckung machen. Deshalb hätten die Verwalter meist leichtes Spiel. „Wer seine Interessen und Rechte nicht wahrnimmt, zahlt drauf“, sagt sie.

Die beiden Berliner Beiräte holen nach dem ernüchternden Termin bei ihrer Verwaltung Angebote von Wettbewerbern ein. Alle sind deutlich billiger, bei vergleichbarer Leistung. Statt 8 160 Euro ließe sich die Immobilie für 6 000 Euro im Jahr verwalten. Ein sattes Viertel günstiger.

Die Beiräte fordern per Mail sämtliche Verträge zur Kontrolle an, um eine Entscheidung vorzu­bereiten. Es sieht schlecht aus für den bisherigen Verwalter: Auch drei Wochen später gibt es noch keine Reaktion.

Der Artikel ist zuerst in Capital 07/2015 erschienen.

Text von Jens Brambusch, Capital Magazin,

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